Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Kreisverband Oldenburg e. V.

Pedelecfahren aus medizinischer Sicht

Dr. Wolfgang Oschkenat von Corpus informiert

Die Entwicklung der elektrischen Unterstützung des Radfahrens hat dieser umweltfreundlichen Mobilitätsart einen enormen Auftrieb gegeben. Diese wünschenswerte Entwicklung sollte jedoch durch realistische Einschätzung der eigenen körperlichen Verfassung und gesundheitlichen Situation und sorgfältige Pflege der eigenen Fähigkeiten zum Umgang mit dem eigenen Pedelec unterstützt und gefördert werden.

Welche Aspekte und Argumente ergeben sich bei Betrachtung der Gesamtsituation aus dem medizinischen Blickwinkel?

● Wie kann zur sicheren und umweltschonenden Änderung des Mobilitätsverhaltens aus Sicht der Medizin beigetragen werden?

Frau Elisabeth Miller nutzt seit vielen Jahren für den ca. 10 km langen Weg zur Arbeit ihr Fahrrad. In der letzten Zeit hat sie, inzwischen Mitte fünfzig, immer wieder Schmerzen im rechten Kniegelenk, die morgens beim Aufstehen, aber auch bei länger dauernden Belastungen, hierzu gehört für Frau Miller auch der gewohnte Weg zur Arbeit, auftreten.

Als Ursache wurde vom Orthopäden eine ausgeprägte Kniegelenksarthrose wohl als Folge einer früheren Sportverletzung diagnostiziert.

Obwohl in solchen Fällen das Radfahren besonders günstig ist, um durch die dabei durchgeführte belastungsarme Durchbewegung des Gelenkes u.a. die Bildung von Gelenkschmiere in der Gelenkkapsel anzuregen, brachte Frau Miller erst die Unterstützung eines Elektromotors (Pedelec) die schmerzfreie Freude am Weg zur Arbeit an der frischen Luft zurück.

So ein Pedelec nutzt Herr Gustav Kleinke mit Anfang siebzig auch seit einiger Zeit. Nach einer Reihe von Jahren weitgehender körperlicher Inaktivität hat er nun das Radfahren mit elektrischer Unterstützung für sich entdeckt. Bei einer Radtour stürzte er an einem Anstieg, als seine Kräfte nachließen, unglücklich und zog sich eine komplizierte Ellenbogengelenksfraktur zu, die Herrn Kleinke nach einer ersten Operation zu einer längeren Pause beim Radfahren zwang.

Im ersten geschilderten Fall ermöglichte die Unterstützung Frau Miller ihren Arbeitsweg recht umweltschonend weiterhin mit eigener Kraft bewältigen zu können. Ohne diese Option wäre sie auf den ÖPNV angewiesen, oder sie müsste das Auto nutzen.

Aus medizinischer Sicht ist die Beibehaltung dieser unterstützten Bewegung höchst sinnvoll und damit wünschenswert. Hiervon profitiert auch das betroffene Kniegelenk, da neben der Mehrproduktion von Gelenkschmiere eine bessere Verteilung innerhalb des Gelenkes erfolgt sowie durch die bei Bewegung auftretende „Wechseldruckbe-lastung“ eine bessere Durchsetzung des Gelenkknorpels mit die Knorpelzellen ernährenden Substraten und Sauerstoff („Diffusion“) erfolgt.  Auf diesen Mechanismus ist der Gelenkknorpel, der ein Wunderwerk an Elastizität, Stabilität mit extrem glatter Oberfläche ist, angewiesen, da er über kein eigenes Blutgefäßsystem zur Versorgung der Knorpelzellen verfügt. Die Bewegung „pflegt“ also den noch intakten Knorpel! Des Weiteren profitieren alle inneren Organe vom regelmäßigen Radeln, da sie quasi „im Dienste der Muskulatur“ stehen. Die inneren Organe ermöglichen es erst durch ihre Funktion, der Muskulatur die energetische Grundlage zu ihrer Arbeit zu liefern. Denken Sie nur an Atmungs- und Herzkreislauffunktion, die Aufnahme und Anlieferung von Sauerstoff und Nährstoff en als Grundlage der Muskelarbeit gewährleisten.

Im zweiten Fall bei Herrn Kleinke ist die Situation anders.

Die körperliche Inaktivität wie bei Herrn Kleinke führt mit fortschreitendem Alter zu einem Verlust von körperlichen Fähigkeiten. Um aber nach längerer Radfahrpause möglichst risikoarm wieder beginnen zu können, sollten solide Voraussetzungen in Bezug auf Kraft, Gleichgewicht, Ausdauer und Koordination vorhanden sein. Diese für sicheres Radfahren notwendigen Grundlagen können insbesondere auch durch Zustand nach Verletzungen oder schwerwiegende Erkrankungen eingeschränkt sein.

Wir betreuen u.a. eine große Anzahl von Patienten mit Tumorerkrankungen, die durch die Erkrankung bedingt, durch die Behandlung verstärkt (Operation, Chemo- und Bestrahlungstherapie) sowie die erzwungene körperliche Inaktivität mit sehr verbesserungsbedürftigen körperlichen Voraussetzung kommen.

Doch das ist nicht ohne Risiko, denn steigen diese Patienten nun ohne ausreichende Vorbereitung wieder auf das Rad, kann das Pedelec vieles sehr rasch scheinbar kompensieren. Eine zügige Fahrt macht ja Freude und ist wieder möglich, aber Reaktionsvermögen, Kraft zur Radbeherrschung u.a. sind der Situation noch nicht gewachsen, die motorische Unterstützung wiegt in falscher Sicherheit.

Die Pedelec-Unfälle separat erfassenden Unfallstatistiken weisen entsprechend gestiegene Unfallzahlen nach. Daneben, und die werden vermutlich nicht von der Verkehrsunfallstatistik erfasst, ereignen sich zahlreiche Unglücksfälle bei der Alltagshandhabung der doch schwereren Räder.Im vergangenen Jahr kamen innerhalb einer Woche drei Patienten/innen leicht fortgeschrittenen Alters zu uns, alle mit erheblichen Verletzungen (Frakturen und Bänderriss) beim Auf- und Absteigen vom Rad und dabei auftretendem Sturz.

Hier kann ein körperliches Training, aber auch Schulungen zum Umgang mit dem Pedelec, das Risiko reduzieren und damit gute Voraussetzungen für ein ungetrübtes Fahrvergnügen schaffen.

Fast ausnahmslos freuen sich die Erwerber von Pedelecs über ihre Entscheidung. Ich höre immer wieder Aussagen im Sinne von „...hätte ich schon früher machen sollen....“. Natürlich nimmt man sich einen Teil einer vielleicht nur noch schwer leistbaren Anstrengung, kann mit der elektrischen Unterstützung aber wieder längere Strecken zurücklegen.

Hat der Pedelec Nutzer hingegen gute konditionelle Voraussetzungen, verringert diese Unterstützung aber in der Regel den Trainingseffekt, man kommt bequemer mit weniger Anstrengung ans Ziel.

Aber erst ein gewisses Maß an Anstrengungen, wie es eher mit motorlosen Radfahren verbunden ist, löst vielfältige Anpassungen in der Muskulatur und im gesamten Organismus aus.

Zudem empfinde ich persönlich immer eine besondere Freude und ein bisschen „Alltagsglück“, ohne Hilfe nur mit eigener Kraft Umwelt- und Ressourcen schonend einen Weg zurückgelegt zu haben. Dieses besondere Zufriedenheitsgefühl lässt sich neurophysiologisch gut erklären und die positiven Auswirkungen auf die kognitiven Fähigkeiten und auch auf die Kreativität gibt es gratis dazu.

Ebenso entfällt bei Radtouren ohne elektrische Unterstützung die Suche nach Steckdosen und der Ärger über herausgezogene Akkuladestecker, weil andere Quartiergäste ihr Handy laden wollen!

Eine Sonderstellung nehmen bei dieser Betrachtung Lastenräder und Kindertransport ein, hier schafft die elektrische Unterstützung ausgezeichnete umweltgerechte Optionen und hervorragende Alternativen zur Kraftfahrzeugnutzung.

Auch beim gemeinsamen Radeln mit Partnern kann bei großen Leistungsunterschieden ein Pedelec das Fahrvergnügen auf beiden Seiten erhöhen.

Pluspunkt Pedelec:

● beim Lasten- u. Kindertransport

● bei geringer Leistungsfähigkeit!!

● bei eingeschränkter Belastbarkeit

● bei sehr unterschiedlicher Leistungsstärke gemeinsam Radelnder

● bei langen Wegen zur Arbeit

»mit großer Sorgfalt, Rücksichtnahme und Vorsicht in vielen Fällen eine große Hilfe!

Pluspunkt „Naturrad“:

● geringste Umweltbelastung

● geringere technische Anfälligkeit

● Unabhängigkeit (bes. b. langen Touren)

● geringes Unfall-, Verletzungs- u. Sturzrisiko

● geringere Kosten

● besondere Freude über aus eigener Kraft erreichte Ziele

»wo immer möglich eine besonders gute Wahl!

Dr. Wolfgang Oschkenat, Corpus

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